Es ist lange her, seit wir Marinette das letzte Mal getroffen haben. Entsprechend gross ist die Vorfreude, als wir in Marinettes Dorf im Distrikt Bankim einbiegen. Dort angekommen, steigt uns bei der grossen Hitze als erstes der Geruch von verschiedenen Esswaren in die Nase. Freitag ist der grosse Markttag im ganzen Distrikt. Zahlreiche Schalen mit geräuchertem Fisch säumen die Marktallee; ihre Form und Breite weisen auf Karpfenarten hin, die in den Gewässern der Mape gefangen wurden.
Seit der Errichtung eines Deichs bewässert der Fluss fast jedes Dorf in Bankim. Dann, inmitten des Trubels, entdecken wir ein bekanntes Gesicht. Es ist Marinette. Sie steht hinter einem Stand, in dem sie Jeans und Socken verkauft. Ihr Gesicht ist fröhlich und lebendig, sie sprüht nur so vor Freude und Selbstbewusstsein. Sie begrüsst uns mit einem breiten Lachen: «Schön, dass ihr mich besucht». Nur eine braune Socke, die sie wie einen Ärmel trägt, zeugt noch von ihrer Krankheitsgeschichte. Er verbirgt die Spuren eines Buruli-Geschwürs am Arm, der um 90 Grad angewinkelt ist. «Ich kann ihn nicht mehr so ausstrecken wie früher, aber alles ist in Ordnung. Der Strumpf soll nur verhindern, dass ein Insekt oder ein Kratzer die Wunde wieder aufreisst» antwortet sie, als wir sie fragen, wie es ihr geht.
Zwei Monate im Wald bei einem Heiler
Es ist bereits das dritte Mal, dass wir Marinette besuchen. Das erste Mal trafen wir sie im zarten Alter von 13 im Spital von Bankim. Sie hatte bereits eine mehrmonatige Behandlung hinter sich, nachdem bei ihr Burul in weit fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert worden war. Vor ihrer Zeit im Distriktspital war sie mehrere Monate lang erfolglos von einem traditionellen Heiler behandelt worden. «Zuerst habe ich eine Schwellung an der Rückseite meines Arms entdeckt», erinnert sie sich. Ihr Vater Emmanuel probierte das Knötchen zuerst durch Massagen mit heissem Wasser und Asche verschwinden zu lassen. Aber es nützte nichts, die Schwellung wurde schlimmer und breitete sich sogar auf den ganzen Arm aus.
«Mein Vater befürchtete, dass es sich um einen schlimmen Zauber handelte», erzählt uns Marinette. Daraufhin wandte sich dieser sich an einen Heiler mit einem guten Ruf, der 90 Kilometer entfernt lebte. Die Reise zum Heiler dauerte zwei Tage und führte über schmale Pfade in die Tiefen des Waldes. Hier verbrachte das junge Mädchen ganze zwei Monate. «Zwei- bis dreimal pro Woche trug er verschiedene Baumrinden auf meinen Arm auf. Und ich musste den ganzen Tag über Abkochungen und Tränke trinken, eine bitterer als die andere», so Marinette. Dies alles nützte jedoch nichts. Ihr Arm schmerzte immer stärker und schwoll immer mehr an.
Ausserdem war ihr Vater, ein einfacher Bauer, mittlerweile finanziell schwer angeschlagen durch die Sachen, die er dem Heiler zukommen liess. «Ich hatte Angst und war verzweifelt», erzählt Marinette. «Ich dachte, man wird meinen Arm abschneiden». Soweit kam es zum Glück aber nicht, da es den FAIRMED-Mitarbeitenden vor Ort noch rechtzeitig gelang, ihren Vater Emmanuel und den Heiler davon zu überzeugen, mit Marinette ins rund 35 Kilometer entfernte Distriktspital zu fahren.
Dort angekommen, erhielt das Mädchen schnell seine Diagnose und musste ganze neun Monate bleiben. «Es war hart für mich, so lange von der Familie getrennt zu sein», erzählt Marinette uns rückblickend. Dafür fühlte sie sich gleich vom ersten Tag an im Spital besser. «Ich konnte endlich wieder durchschlafen ohne Schmerzen.» Zur medikamentösen Behandlung mit Antibiotika kamen mehrere Monate Intensivpflege, Operationen, Hauttransplantationen, tägliche Gymnastik und eine aufwändige Wundbehandlung, welche die 13-jährige Marinette mit einer kaum zu glaubenden Tapferkeit durchhielt.
Die Kosten für den Aufenthalt, die Medikamente, Labortests, Operationen, die Physiotherapie und die Nachkontrollen wurden dabei von FAIRMED übernommen. Und da Marinettes Eltern sich die weite Fahrt ins Spital nicht leisten konnten, wurde auch der Transport von FAIRMED organisiert. «Wir haben im Krankenhaus nichts bezahlt. Sogar das Essen war kostenlos. Meine Familie hätte sich das nicht leisten können», so Marinette.
Heute geht es ihr gut. «Mein Arm ist vollständig verheilt und ich kann alles machen – als ob ich gar nie krank gewesen wäre. Es ist wie ein neues Leben», sagt sie und faltet ein paar Jeans zusammen. «Zusammen mit den Kleinen, meinem Mann und meinem Bruder lebe ich dort drüben», sagt Marinette und zeigt auf ein kleines Häuschen. In diesem Moment wird uns klar, dass Marinettes Wunsch, den sie uns auf der Krankenliege sitzend im Alter von 13 verriet, in Erfüllung gegangen ist. Denn damals sagte sie: «Ich kann es fast nicht erwarten, wieder ein normales Leben zu führen, wenn ich nach Hause gehe.» Einzig ihr Wunsch, wieder zur Schule zu gehen, hat sich nicht erfüllt. Marinette hat nie wieder ein Klassenzimmer von innen gesehen. «Ich wollte weitermachen, aber mein Vater hatte kein Geld und ich habe mehrere jüngere Brüder», sagt sie mit Bedauern. Es ist das einzige Mal an diesem Tag, dass das Lächeln für einen Moment aus ihrem Gesicht verschwindet.
Gleichzeitig faltet sie weiter die modischen Jeans in allen möglichen Farben, die ihre Familie in den grossen Städten des Landes kauft und hier weiterverkauft. «Mein Mann reist jede Woche, um Nachschub zu holen. Wir bieten auch Socken für Kunden an. Es ist ein Unternehmen, das unsere Familie gut ernährt. Wenn Gott uns hilft, werden wir bald einen Laden eröffnen können», sagt Marinette stolz. Für sie hat FAIRMED nicht nur ihren Arm gerettet, sondern auch den Lauf ihres Lebens verändert.
«Ich bin immer sehr bewegt, wenn ich das Projektauto vorbeifahren sehe. Ohne FAIRMED wüsste ich nicht, wo ich jetzt sein würde.» Heute will Marinette ihrer Familie eine gewisse Sicherheit bieten. Sie will ihr Geschäft ausbauen und genug Geld verdienen, um ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Der Wunsch klingt wie eine Rache an der Krankheit, die ihr die Chance auf eine eigene Ausbildung genommen hat.
Buruli Ulkus
Buruli-Ulkus ist eine bakterielle Infektionskrankheit, die gut mit Antibiotika behandelbar ist, wenn sie genug früh erkannt wird. Unbehandelt kann sie zu schmerzhaften Hautgeschwüren und zur Amputation der betroffenen Gliedmassen führen. FAIRMED hat bereits im Jahr 2001 in Kamerun das erste Buruli Projekt lanciert und damit eine Pionierrolle eingenommen. In unseren Projekten, in denen Buruli die Menschen vor Ort betrifft, führen wir Sensibilisierungskampagnen durch, damit sie die ersten Anzeichen der Krankheit erkennen können und sie sich im Spital und nicht von traditionellen Heilern behandeln lassen.
Wir untersuchen die Menschen in den Projektgebieten regelmässig auf Anzeichen der Krankheit und bezahlen falls nötig den Transport ins nächste Gesundheitszentrum sowie alle Kosten rund um die Behandlung. Zudem haben wir dazu beigetragen, Spitäler mit den nötigen Utensilien für die Behandlung von Buruli auszustatten und das medizinische Personal so geschult, dass sie alle nötigen Eingriffe vor Ort selbst vornehmen können. Auch ist es FAIRMED gelungen, zahlreiche traditionelle Heiler in Bankim soweit zu sensibilisieren, dass sie ihre Patienten beim Verdacht auf schwerwiegende Erkrankungen der Schulmedizin übergeben.
No one should suffer or die from a curable disease
Mou Ferdinand • Country Coordinator Central African Republic
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