September 2024

Zurück im Leben – die ermutigenden Geschichten von Gnanamma und Sebastian

Mit dem Gesundheitsprojekt «Vaiharai», was auf Tamilisch Morgenröte und Hoffnung bedeutet, haben wir in den letzten anderthalb Jahren die Gesundheitsversorgung der Menschen im Norden Sri Lankas nachhaltig verbessern können. Besonders die schwierige Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen und alleinerziehenden Müttern, die den Lebensunterhalt ihrer Familien bestreiten, hat sich dank dem unermüdlichen Einsatz unserer Mitarbeitenden vor Ort sichtbar entspannt. Davon erzählt diese Geschichte über Gnanamma und Sebastian.

Der 40-jährige Medoshan Perera hat bereits eine dreistündige Reise mit Tuktuk und dem öffentlichen Bus hinter sich, als wir ihn um acht Uhr morgens in der Stadt Kilinochchi im Norden Sri Lankas treffen. «Ich gehe aus dem Haus, wenn meine Frau und meine drei Kinder noch schlafen. Abends muss ich aufpassen, dass ich den letzten Bus Richtung Halbinsel Mannar erwische, auf der ich wohne, sonst komme ich gar nicht mehr nach Hause», erzählt Medoshan, der seit anderthalb Jahren für FAIRMED das Projekt «Vaiharai» in Kilinochchi koordiniert. «Aber ich freue mich, euch hier zu treffen und euch zu zeigen, was wir nach anderthalb Jahren Projektarbeit erreicht haben», sagt der zuvorkommende Mann mit einem Lächeln auf dem Gesicht, während er schwungvoll die Seitentür des Wagens, in den er auf halbem Weg zu uns zugestiegen ist, zufallen lässt und uns zum Haus von Gnanamma Ganeshan führt. Gnanamma führt ein Frauenkollektiv an, das aus sechs alleinerziehenden Frauen mit kriegsbedingten Behinderungen und deren insgesamt zehn Kindern besteht. «Guten Morgen», begrüsst uns Gnanamma mit einem strahlenden Lächeln und heisst uns, uns auf die knallroten Plastikstühle im Schatten des Vordachs vor ihrem Haus zu setzen.

Nähmaschinen repariert und Stromleitungen verlegt

«Wie geht es dir?», fragt Medoshan Gnanamma, und die Art, wie sie ihm antwortet, drückt Vertrautheit und Schalk aus. «Natürlich geht es mir sofort besser, wenn du auftauchst», witzelt Gnanamma. «Nein, im Ernst, wir sind sehr dankbar, dass wir nun Kleider nähen können dank der Nähmaschinen, die ihr uns gespendet und repariert habt, und dank dem Strom, den wir nun im Haus haben. Ihr habt uns sehr geholfen! Die sechs alleinstehenden Frauen meines Kollektivs und ihre Kinder, die alle mit mir in diesem Haus leben, können von den Einnahmen unserer verschiedenen Einkommenszweige inzwischen leben. Wir können genügend Essen kaufen, alle Schulbücher bezahlen und uns den Transport zum Gesundheitszentrum oder ins Spital leisten, wenn wir zur Therapie hinfahren müssen. Da alle Frauen in unserem Kollektiv Verletzungen durch Bombenangriffe erlitten haben, brauchen wir regelmässig Physiotherapie, Schmerztherapie und manchmal auch Operationen.» Medoshan nickt und fragt: «Wie könnt ihr die Kleider verkaufen?» «Hmm, das funktioniert noch nicht so gut», erwidert Gnanamma, «ein paar Leute aus dem Dorf, unter ihnen auch Angestellte der Regierung, bestellen vor und kaufen sie, aber es sind noch nicht sehr viele.» Darauf sagt Medoshan: «Ich werde versuchen, die Schulen in der Nähe zu kontaktieren und zu fragen, ob sie Schuluniformen in grossen Mengen bei euch bestellen möchten.»

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«Wir können uns den Transport zum Gesundheitszentrum oder ins Spital leisten.»

Das Geschäft mit den Setzlingen floriert

Die Näherei sei nur der eine Erwerbszweig des sechsköpfigen Frauenkollektivs, der andere, viel profitablere, sei die Gärtnerei, erzählt uns Gnanamma. «Vor sechs Jahren haben wir begonnen, unseren Garten aufzubauen. Inzwischen kaufen viele Leute aus dem Dorf und die hier stationierten Soldaten bei uns Pflanzen ein. Die Regierung hat uns sogar beauftragt, sie mit 150 Pflanzen pro Monat für ihr Hausgarten-Einführungsprojekt in den Dörfern zu versorgen», fährt Gnanamma fort und führt uns durch den schön angelegten und säuberlich gepflegten Garten, der in sämtlichen Grünschattierungen leuchtet. «Ihr seht, bei uns könnt ihr Setzlinge für alles, was euer Herz begehrt, haben: Möchtet ihr lieber Setzlinge für Kürbisse, Tomaten, Chilischoten, Zwiebeln, Okras, Auberginen, Kokosnüsse – oder doch lieber Zierblumen?»

Die Haut an Gnanammas ganzem Körper wurde beim Bombenangriff verbrannt

Gnanamma war wie die anderen Frauen im Kollektiv während des Kriegs zur Waise geworden. «Ein christlicher Priester hat uns sechs Frauen, damals alle Kriegswaisenkinder verstreut im ganzen Land, aufgenommen und hier auf seinem Grundstück aufgezogen. In der Endphase des Krieges bis 2009 waren wir von hier weggegangen, sind nun aber alle wieder zurückgekommen und arbeiten nun zusammen im Kollektiv.» Gnanamma war 2002, als sie neunzehn Jahre alt war, bei einem Bombenangriff der Luftstreitkräfte schwer verletzt worden. «Die chemische Bombe fiel in den Bunker, in dem ich mich versteckt hatte. Ich erlitt Verbrennungen am ganzen Körper, einschliesslich des Gesichts und der Kopfhaut, ich hatte lange Zeit eine Vollglatze.»

Viele Operationen später kann Gnanamma wieder arbeiten

Dank mehreren plastischen Operationen im Wert von anderthalb Millionen sri-lankischen Rupien, die eine wohltätige Organisation ermöglichte, wurde mein Gesicht weitgehend wiederhergestellt», erzählt Gnanamma. «Das Geld reichte jedoch nicht, um meine verbrannte Hand zu rekonstruieren, deshalb kann ich nur einhändig arbeiten.» «Aber auch mit nur einer Hand bist du eine aussergewöhnlich talentierte und tüchtige Geschäftsfrau», entgegnet Medoshan. «Du schaffst es, mit der vorausschauenden Leitung eures Kollektivs allen sechs Frauen und ihren Kindern einen Lebensunterhalt zu ermöglichen, und dies in einer schwierigen Wirtschaftslage, in der die Rohstoffe so viel teurer und schwieriger zu erhalten sind. Euer Kollektiv ist ein Vorbild für die vielen alleinstehenden Frauen in Kilinochchi, die ums Überleben kämpfen!»

Auf dem Weg zum sagenumwobenen Friedenshelden

Nachdem wir uns von Gnanamma und ihren Mitarbeiterinnen verabschiedet haben, nicht ohne zuvor noch vom eingelegten, mit Curry und Chili gewürzten Kürbis zu kosten, fahren wir weiter zu Sebastian Satheskumar, der eine halbstündige Autofahrt über weitere holprige Strässchen entfernt wohnt. «Diese Siedlung im Bezirk Poonahari, in der Sebastian lebt, ist eine Auffangsiedlung für Menschen, die durch den Krieg vertrieben worden sind. Fast alle von ihnen haben Behinderungen durch Kriegsverletzungen erlitten. Sebastian war im Krieg ein Vorbild und er ist auch jetzt wieder ein Vorbild. Obwohl er durch viele Granatensplitter verletzt wurde, im Rollstuhl sitzt und ihm beide Beine amputiert werden mussten, ist er ein grosses Vorbild und eine grosse Unterstützung für die Menschen im Dorf», bereitet uns Medoshan auf das Treffen mit Sebastian vor.

Das Camp von Kriegsverletzten mitten im Wald

Die Siedlung, in der Sebastian wohnt, ist vor lauter Bäumen gar nicht zu erkennen. Eigentlich sind wir mitten im tropischen Dschungel, in dem die Häuser vom wild wachsenden Wald versteckt sind. Der Weg, den wir in Richtung von Sebastians Haus beschreiten, liegt unter dem schattenspendenden Dach aus Palmen und Akazien, es ist angenehm kühl unter dem Blätterdach. Ohrenbetäubendes Kläffen in allen Tonlagen schlägt uns aus einem kleinen Holzzwinger schrill entgegen, sodass wir uns die Ohren zuhalten, bevor wir Sebastian, der uns bereits vor dem Haus erwartet, begrüssen.

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«Hier ist eine Auffangsiedlung für Menschen, die durch den Krieg vertrieben worden sind.»

Momente der Güte im Krieg – wie der Gegner mit Sebastian Erbarmen hatte

Sebastians Blick leuchtet, und obwohl an den Rollstuhl gefesselt, strahlt seine Haltung etwas Heldenhaftes aus. «Ich wurde in Jaffna geboren und bin in Colombo aufgewachsen. Bei den Pogromen gegen die tamilische Bevölkerung wurde meine Mutter, alleinerziehend mit vier Kindern, auf dem Heimweg von der Arbeit auf offener Strasse brutal zusammengeschlagen. Mit der Hilfe eines Priesters gelang es uns, nach Jaffna zu flüchten und uns in Sicherheit zu bringen.» Aufgebracht von den Gräueln des Krieges, schloss Sebastian sich der gerade formierten Gruppe der Tamil Tigers an. «Meine Mutter war am Boden zerstört, aber ich sah damals keinen anderen Ausweg als zu kämpfen.» Sebastian wurde durch mehrere Bombenangriffe schwer verletzt, zuerst brach er sich die Wirbelsäule, dann fiel eine Bombe auf seine Beine. «2009 war ich im Spital, weil das erste Bein amputiert werden sollte, als die Soldaten der staatlichen Armee mich verhaften wollten, weil ich bei den Tamil Tigers gekämpft hatte. Mein damals vierjähriger Sohn weinte aber so herzzerreissend und schrie, sie sollten mich nicht von ihm wegnehmen, sodass sie es sich anders überlegten und mich und meine Frau nicht festnahmen. Der Armeekommandant war ein gütiger Mensch, und ich bin ihm noch heute dankbar. Meine Frau und ich wären sonst getötet und mein Sohn Waise geworden.»

Unabhängigkeit und Würde dank Hilfsmitteln

«Und dann hast du dir noch einmal ein ganz neues Leben aufgebaut», sagt nun Medoshan. «Ja», erwidert Sebastian, «mir wurde ein neues Leben geschenkt. Als wir 2010 hierherkamen, wohnten wir zuerst in Zelten, und ich habe in der Lokalzeitung ein Inserat geschaltet, in dem ich meine Geschichte erzählte. So sind Spenden zusammengekommen, mit denen ich einen kleinen Laden aufbauen konnte.» Und in der Tat hat es Sebastian trotz seiner schweren Behinderungen geschafft, mit dem kleinen Laden für seinen Sohn, seine Frau und sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Ohne die Unterstützung von FAIRMED wäre das allerdings nicht möglich gewesen, fährt er fort: «Als völlig gelähmter Mann konnte ich nicht einmal allein auf die Toilette gehen, meine Frau musste mir helfen. Es war eine so grosse Erleichterung, als FAIRMED mitgeholfen hat, in unserem Haus eine Behindertentoilette einzurichten.» Sebastian kann sich nun unabhängig um seine hygienischen Grundbedürfnisse kümmern und sich selbst waschen: «Neben dem Wasserbecken haben wir Gitter befestigt, an denen ich mich mit meinen Armen aufziehen kann. Mithilfe des Stuhls kann ich mich selbst waschen. Diese wenigen Dinge bewirken Grosses in meinem Leben, ich fühle mich so viel unabhängiger und glücklicher!» Auch eine rollstuhlgängige Rampe wurde ans Haus gebaut, damit sich Sebastian selber zu seinem Laden bewegen kann. «Vorher musste mein Sohn mich immer hineinund hinaustragen – er ein 16-jähriger schmaler Junge und ich so schwer, stellen Sie sich das vor!»

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«Als völlig gelähmter Mann konnte ich nicht einmal allein auf die Toilette gehen.»

Treibstoff zu teuer für Transport ins Spita

Obwohl die Wirtschaftskrise in Sri Lanka abgeebbt ist, gibt es immer wieder Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln, Medikamenten und Treibstoff. «Wir haben uns gemeinsam organisiert, sodass wir, das heisst die Schwerstbehinderten, einmal im Monat zusammen ins Spital nach Jaffna fahren, um dort unsere verschiedenen medizinischen Behandlungen durchführen zu lassen», sagt Sebastian. «Leider ist das Benzin nun so teuer geworden, dass wir uns den Transport nicht mehr leisten können, und wir bekommen auch nicht mehr alle Medikamente, die wir brauchen.» «Ich werde bei den Behörden nachfragen, wie wir das lösen können», sagt Medoshan. «Danke, das ist gut, Medoshan, ich habe nämlich wieder viel stärkere Schmerzen vom Wundliegen bekommen. Ich habe keine Schmerzmittel und keine Heilsalbe mehr.» Medoshan seufzt. «Das geht nicht, ich werde dafür sorgen, dass du die Medikamente bekommst, auch wenn du nicht ins Spital fahren kannst. Wir werden mit dem Personal des Gesundheitspostens im Dorf sprechen.»

«Nur wer diesen Schmerz durchgemacht hat, kann ihn verstehen»

Trotz Schmerzen und den vielfältigen Herausforderungen von früh bis spät strahlt Sebastian Ruhe und Zuversicht aus. Erst vor einigen Tagen hat er den Sozialpreis der Region gewonnen und wurde dafür in der Lokalzeitung «The Northern Provincial Council» wortreich gewürdigt, schiebt Medoshan ein. «Ja», sagt Sebastian. «Ich habe zwar jeden Tag Schmerzen, körperlich wie seelisch. Aber es gibt so viele andere wie mich in dieser Nachkriegszeit. Nur diejenigen, die diesen Schmerz durchgemacht haben, können ihn verstehen – und ich tue es. Ich habe es mir zur Lebensaufgabe gemacht, solche Menschen zu fördern.» Sebastian berät andere Menschen mit Behinderungen, besucht sie zu Hause, beurteilt ihre Situation, motiviert sie, sich auf jede erdenkliche Weise aus der Armut zu befreien: «Viele leben in Armut. Ich rate ihnen, im Garten zu arbeiten, ein Unternehmen zu gründen, selbstständig zu werden. Ich helfe ihnen, ihre angeborenen Talente zu erkennen, sie zu verfeinern und marktfähig zu machen. Ich ermutige sie auch, aus ihren Häusern herauszukommen und sich mit uns zu treffen, wenn sie sich aus der Gesellschaft zurückgezogen haben.»

«Menschen mit Behinderungen haben der Gesellschaft noch viel zu bieten!»

Sebastian ist der Leiter der Selbsthilfegruppe von Menschen mit Behinderungen im Dorf und wird von FAIRMED regelmässig geschult in Themen rund um Behinderungen, Kommunikation sowie staatliche und medizinische Unterstützung. «Ich bin FAIRMED dankbar, dass ich mit der Weiterbildung zum Peer-Unterstützenden meinem Leben wieder Sinn geben kann und depressiv zu sein keine Option mehr für mich ist!» «Du lebst dein Leben als Vorbild und Inspiration für andere Menschen mit Behinderungen», sagt Medoshan. «Ja, ich möchte anderen Menschen mit Behinderungen als gutes Beispiel zeigen, dass wir immer noch ein funktionierendes, produktives und glückliches Leben führen können. Das möchte ich auch der Gesellschaft insgesamt zeigen. Wir dürfen nicht bemitleidet und an den Rand gedrängt werden. Wir haben der Gesellschaft noch viel zu bieten.»

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«Ich bin FAIRMED dankbar, dass ich mit der Weiterbildung zum Peer-Unterstützenden meinem Leben wieder Sinn geben kann.»

Medoshans letzter Bus nach Hause ist abgefahren

Nun ist es doch später geworden, als wir dachten, denn Sebastian hat ein ausgeprägtes Rednertalent und uns noch sehr viel mehr erzählt, als auf diese Magazinseiten passt. Wir mussten uns also recht überstürzt verabschieden, schnellen Schrittes an lautem Hundegebell vorbei durch den Wald zu unserem Auto laufen, um Medoshan rechtzeitig zur Bushaltestelle zu bringen. Als wir dort ankamen, sahen wir, wie der Bus – der letzte, der an diesem Tag in Richtung der Halbinsel Mannar noch fuhr und Medoshan zu seiner Familie heimbringen konnte! – gerade abfuhr. «Überhol ihn und mach ihm Zeichen, dass er anhalten und mich einsteigen lassen soll!», rief Medoshan aufgeregt. Und mit grossen Augen schauten wir zu, wie unser Fahrer den Bus rasant überholte, ausdrucksstark gestikulierte, worauf der überfüllte öffentliche Bus tatsächlich mitten auf der Strasse anhielt und die dicht zusammengepferchten Menschen darin noch näher zusammenrückten, um dem sichtlich erleichterten Medoshan ein paar wundersame Quadratzentimeter Platz für die Reise nach Hause zu verschaffen.

Niemand darf an einer heilbaren Krankheit leiden oder sterben

Nayani SuriyarachchiLandesverantwortliche Sri Lanka

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