«Alles begann mit Lepra», erzählt Dr. med. Alphonse Um Boock, langjähriger FAIRMED-Experte in der Bekämpfung von vernachlässigten Tropenkrankheiten, die kurz auch als NTDs (Neglected Tropical Diseases) bezeichnet werden. «Dass es gelang, im Jahr 2002 in Kamerun und im Jahr 2003 in der Zentralafrikanischen Republik die Krankheit Lepra als eliminiert zu erklären, ist der engen Zusammenarbeit der Regierungen mit der Weltgesundheitsorganisation WHO und internationalen Gesundheitsorganisationen wie FAIRMED zu verdanken», führt Alphonse Um Boock aus und fügt stolz hinzu: «Ja, FAIRMED hat massgeblich dazu beigetragen, Lepra in Kamerun zu eliminieren.» Als eliminiert gilt eine Krankheit, wenn ihre Prävalenzrate unter einen Fall pro 10 000 Einwohnende fällt. «Ist eine Krankheit eliminiert, gilt sie nicht mehr als Problem der öffentlichen Gesundheit, aber das heisst nicht, dass es keine Menschen mehr gibt, die an der Krankheit leiden», führt Alphonse Um Boock aus. «Es kann sogar passieren, dass sich die Krankheit wieder stark ausbreitet, weil sie nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.» Aktuell wird geschätzt, dass in Kamerun rund 500 Menschen, die an Lepra leiden, offiziell dokumentiert sind, in der Zentralafrikanischen Republik rund 700. Über die Dunkelziffer der unentdeckten Fälle kann nur gemutmasst werden.
Eliminiert ist nicht ausgerottet
«Die kamerunische Regierung hat, als Lepra als eliminiert erklärt wurde, ein neues nationales Programm ins Leben gerufen, das zwar Lepra weiterhin überwachte, sich nun aber der neu entdeckten Krankheit Buruli, einer ebenfalls ansteckenden Haut-NTD mit verheerenden Folgen, widmete», fährt Alphonse Um Boock fort. «Als wir uns 2015 bei einem Treffen mit Experten der WHO über die Überwachung dieser Krankheiten unterhielten, wurde klar, dass wir sie nicht mehr isoliert betrachten konnten, sondern eine Methode entwickeln mussten, mit der wir alle Krankheiten zusammen überwachen können. Wir hatten erkannt: Wenn du in die Gemeinschaften gehst, findest du nicht nur die Krankheit, nach der du suchst, sondern noch ganz viele andere, auf die du nicht gefasst warst.» Von den inzwischen 21 NTDs, die von der WHO gelistet sind, kommen in Kamerun und der Zentralafrikanischen Republik 15 Krankheiten vor, zum Beispiel, um nur die bekanntesten zu nennen, Lepra, Buruli und Frambösie. «Da es sich bei den meisten von ihnen um ansteckende Hautkrankheiten handelt, die sich bei besonders armen, mangelernährten und unter schlechten Hygienebedingungen lebenden Menschen verbreiten, lag es auf der Hand, dass wir die Krankheiten nicht mehr isoliert suchen konnten, sondern gemeinsam erfassen mussten.» So hat FAIRMED sich an der Entwicklung dieser neuen Überwachungsmethoden beteiligt, welche die Überwachung und Kontrolle von Haut-NTDs kombinieren. Vier verschiedene solche integrierten Methoden wurden zwischen 2017 und 2021 in Kamerun, Benin, Ghana und der Elfenbeinküste getestet.
System ermöglicht Überwachung der Covid-Pandemie und Mpox-Epidemie
Inzwischen hat Kamerun das integrierte Überwachungssystem von Haut-NTDs in 20 Gesundheitsdistrikten eingeführt. «Um vorrangige übertragbare Krankheiten zu bekämpfen, ist ein wirksam funktionierendes nationales Überwachungssystem von entscheidender Bedeutung. Es ist Grundlage für die Entscheidungsfindung im Bereich der öffentlichen Gesundheit, einschliesslich der Ermittlung von Prioritäten, der Planung, der Mobilisierung und Zuweisung von Ressourcen sowie der Vorhersage und Früherkennung von Epidemien», erklärt Alphonse Um Boock. «Das Überwachungssystem ist sogar sensibel genug, über die vernachlässigten Tropenkrankheiten hinaus weitere Krankheiten zu erfassen. Wir haben während der Pandemie mit diesem System die Covid-19-Fälle überwacht und aktuell hilft es uns, auch die vorkommenden Mpox-Fälle zu erfassen und so diese Epidemie zu kontrollieren.» Im Moment (Stand 18. Oktober 2024) sind in Kamerun 98 Mpox-Verdachtsfälle bekannt, 6 wurden bestätigt, zwei Menschen starben an der Krankheit
Lückenhafte Internetabdeckung in der Zentralafrikanischen Republik
Das integrierte NTD-Überwachungssystem in Kamerun, District Health Information System genannt, ist für jedermann zugänglich. FAIRMED hat massgeblich zur Entwicklung beigetragen, Personal ausgebildet, macht Schulungen für die Anwendung und hat die Formulare erstellt. Wie es denn aussehe mit einem vergleichbaren Überwachungssystem im Nachbarland, der Zentralafrikanischen Republik, wollen wir von Alphonse Um Boock wissen. «Das wäre schön, ist aber leider unmöglich, da es an Strom mangelt, keine Internetabdeckung gibt und der politisch instabile und kriegsversehrte Staat nicht die Mittel hat, etwas Derartiges umzusetzen», seufzt Alphonse Um Boock.
Längst ist noch nicht alles getan, um Epidemien wirkungsvoll vorzubeugen. «Die Kommunikation in den Gemeinschaften kann noch effektiver werden», sagt Alphonse Um Boock. Kommunikationsbotschaften würden oft ausschliesslich von Gesundheitsexperten entwickelt und über verschiedene Kanäle wie Plakate, Radiobotschaften oder Marktrufe in den Gemeinden verbreitet. Die Wahrnehmung der traditionellen Gemeinschaften basiere jedoch auf Überzeugungen, Traditionen und Gerüchten in Bezug auf die Haut, NTDs und andere gesundheitliche Eingriffe wie Impfungen. Und oft akzeptierten traditionelle Gemeinschaften die «modernen» Formen der Kommunikation nicht oder könnten ihnen nicht folgen, weil ihnen die technischen Geräte wie Smartphones oder Tablets dafür fehlten, erklärt Alphonse Um Boock: «Das grösste Problem ist, dass sich die Gemeinschaften nicht mit den Inhalten der von den Gesundheitsbehörden kommunizierten Weisungen identifizieren und die notwendigen Verhaltensänderungen deshalb nicht eintreffen.» Deshalb könne FAIRMED einen so starken Beitrag zur Vorbeugung und Bekämpfung von Epidemien leisten. «Unsere Mitarbeitenden, welche die Dorfgemeinschaften besuchen, sind alles Einheimische. Darum sind sie in der Lage, auf Augenhöhe mit den Menschen vor Ort zu sprechen und sie über die Krankheiten zu informieren. So können wir die Dorfgemeinschaften von Anfang an in die Gesundheitsprogramme involvieren.»
Die Rolle der Religion berücksichtigen
«Um Epidemien besser vorzubeugen, braucht es ein tiefes Verständnis für riskante Verhaltensweisen und Praktiken im Umfeld der betroffenen Gemeinschaften. Es ist entscheidend, den Einfluss religiöser Faktoren zu berücksichtigen und das Vertrauen der traditionellen Heiler zu stärken», erklärt Alphonse Um Boock. Es sei wichtig, die Gemeinschaften einzubeziehen und über die einfache Ausstrahlung von Radio- und Fernsehspots hinauszugehen. «Es ist von grösster Bedeutung, das Bewusstsein für Risiken und das Engagement der Gemeinschaft zu stärken und ihre Eigenverantwortung aufzubauen. Wir müssen daran arbeiten, die Verleugnung und Stigmatisierung von Krankheiten zu überwinden», so Alphonse um Boock weiter. «Eine gute Methode können Selbsthilfegruppen sein, wie wir sie bei FAIRMED organisieren: Ehemalige Patientinnen und Patienten sprechen offen über Krankheiten, sodass andere Erkrankte lernen, einen besseren Umgang mit der Krankheit zu finden.»
Zoonosen – durch Tiere übertragene Krankheiten beim Menschen – sind eine grosse Herausforderung, insbesondere wenn man sich die jüngsten Epidemien weltweit ansieht. Eine Form der Übertragung geschehe durch den Verzehr von Fleisch (Wildfleisch von Tieren wie Affen und Stachelschweinen), führt Alphonse Um Boock aus. «Um solchen Krankheiten vorzubeugen, muss man mit den Menschen zusammenarbeiten, die lokale Restaurants betreiben und oft im ‹Buschfleischhandel› tätig sind.» Händler, allgemein bekannt als Buyam-Sellams, sind eine Zielgruppe in der Wertschöpfungskette von solchem Fleisch. Sie sollten für die Gesundheitsrisiken sensibilisiert werden, die durch Krankheiten im Zusammenhang mit Wildtieren verursacht werden.
Lassen sich Epidemien in Zukunft verhindern?
«In Anbetracht der Tatsache, dass bisher die meisten Epidemien auf Zoonosen zurückzuführen sind, ist es wichtig, Umweltaspekte und Elemente der Veterinärmedizin in die Prävention von Epidemien einzubeziehen», schlussfolgert Alphonse um Boock. Das One-Health-Konzept sei Teil der globalen Gesundheitssicherheit, dessen Ziel es ist, die Welt sicherer zu machen, indem die Kapazitäten der internationalen Gemeinschaft zur Vorhersage, Erkennung und Reaktion auf Epidemien von Infektionskrankheiten gestärkt werden. «Wenn die verschiedenen Regierungsstellen – Gesundheits-, Umwelt-, Landwirtschaftsministerien und andere – ihre Zusammenarbeit verbessern und wenn auf Distrikt- und Gemeindeebene der Zusammenhang zwischen verschiedenen Krankheitserreger und der Ausbreitung besser bekannt und verstanden werden, haben wir eine veritable Chance, in Zukunft in weniger dramatische Gesundheitsnotlagen zu geraten.» Der One-Health-Ansatz könne die Analyse von Krankheiten und ihren Erregern aus verschiedenen Blickwinkeln unterstützen und auch Massnahmen vorschlagen, die nicht nur aus der Perspektive der menschlichen Gesundheit, sondern auch aus veterinärmedizinischer oder ökologischer Sicht ergriffen werden. «Wenn wir in diesen Bereichen vorwärtskommen – und unsere FAIRMED-Mitarbeitenden, welche die Gemeinschaften besuchen, arbeiten täglich hart dafür –, sollten wir in Zukunft ein so breit abgestütztes und vernetztes Gesundheitsbewusstsein geschaffen haben, dass wir zukünftige Epidemien im Keim ersticken werden!»